Sechzig Jahre Stadtklimatologie in Stuttgart - Entwicklung der Abteilung Stadtklimatologie im Amt für Umweltschutz der Landeshauptstadt Stuttgart

english

 

Das Arbeitsgebiet Stadtklimatologie muß vor dem Hintergrund gesehen werden, daß es sich dabei um ein in Stuttgart traditionsreiches Tätigkeitsfeld handelt, dessen Wurzeln im Jahr 1998 genau 60 Jahre zurückreichen. Im Jahre 1938 nämlich beschloß der Gemeinderat die Anstellung eines Meteorologen, um entsprechende Untersuchungen über die klimatischen Verhältnisse Stuttgarts vornehmen zu lassen und ihre Beziehungen zum Städtebau aufzuzeigen. Bereits damals wurde die Klimahygiene im Städtebau als Mittel zur Förderung und Erhaltung der Gesundheit der Stadtbewohner anerkannt.

Stuttgart - CharlottenplatzDie Untersuchungen der damals noch sehr kleinen "Klimatologischen Abteilung" des Chemischen Untersuchungsamtes umfaßten in diesem Zusammenhang Klima-Parameter von fünf Meßstationen, Staubmessungen sowie Messungen der Sonnenstrahlung, um Aufschluß über die Absorption, insbesondere der UV-Strahlung, durch Staubdunst zu erhalten. Nach kriegsbedingten Unterbrechungen der Arbeit und Zerstörung von Unterlagen und Meßgeräten ergab sich mit den Untersuchungen für den Generalbebauungsplan ein wichtiger Neuanfang. Dieser Generalbebauungsplan verfügte über einen für den Wiederaufbau Stuttgarts wichtigen Abschnitt zur Klimaplanung, in dem es u.a. um die städtebaulich bedingten Einflüsse auf das Lokalklima, die Möglichkeiten der Frischluftzufuhr sowie um Trassierungs- und Standortfragen ging. Nach einer vorübergehenden Aufhebung des Arbeitsgebietes zwischen den Jahren 1949 und 1951 ergab sich in der Folgezeit eine ständige Weiterentwicklung, die verstärkt Aufgaben des Immissionsschutzes und damit auch die Lärmbekämpfung umfaßte.

1975 wurde der erste auch heutigen Maßstäben gerecht werdende Immissions-Meßbericht über Kohlenmonoxidmessungen des Jahres 1974 am Charlottenplatz erstellt, wobei erstmals die kraftfahrzeugbedingte Luftbelastung im Mittelpunkt stand.

Lange vor Inbetriebnahme des vom Land aufgebauten Luftüberwachungsnetztes hat die Abt. Stadtklimatologie Vielkomponenten-Luftmessungen an den Standorten Marienplatz (1977) und Stuttgart-Ost (1979) durchgeführt. Nach Beschaffung und Ausstattung eines Luftmeßwagens konnten ab 1982 systematische, flächendeckende Rastermeßfahrten vorgenommen werden.

Verkehrslärmkartierung 1983Eine die Gesamtheit der Stuttgarter Straßen umfassende Verkehrslärmkartierung konnte 1983 vorgelegt werden.

Es entsprach einer Tradition der Abt. Stadtklimatologie, daß die Ergebnisse von Meßkampagnen in einer Schriftenreihe veröffentlicht wurden, die bis zur Eingliederung ins neu gegründtet Amt für Umweltschutz (1988) insgesamt 9 Broschüren umfaßte. Die neue Untersuchungsmethode der Infrarot-Thermographie ermöglichte "Daten und Aussagen zum Stadtklima von Stuttgart", die 1978 in den "Beiträgen zur Stadtentwicklung" veröffentlicht wurden und eine wichtige Beratungsgrundlage für den seinerzeit in Aufstellung begriffenen Flächennutzungsplan 1990 darstellten.

Lärm- und Klima-MeßwagenMit der Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes von 1990 ergaben sich neue administrative Rahmenbedingungen: § 47 a BImSchG verpflichtet die Gemeinden zur Lärmminderungsplanung. § 40 (2) BImschG eröffnet in Verbindung mit der 23. BImSchV Prüfungsmöglichkeiten für verkehrsplanerische, verkehrslenkende oder verkehrsbeschränkende Maßnahmen. Beide Entwicklungen forcierten die Durchführung ambulanter Meßprogramme, für die ein neuer Luft-Meßwagen sowie ein kombinierter Lärm-und Klima-Meßwagen beschafft und ausgestattet wurden. Zu erwähnen ist hier vor allem auch die Einbeziehung der Benzol-Belastung bei Straßenmeßprogrammen.

Die Vorschriften der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) sowie die seit 1992 eingeführten Merkblätter für Luftverunreinigungen an Straßen (MLuS-92) führten zur verstärkten Entwicklung und Anwendung numerischer Untersuchungsmethoden für Fragen der Immissionsprognose. Auch für den Bereich der Klimatologie kann gesagt werden, daß der zwischenzeitliche Auf- und Ausbau einer leistungsfähigen EDV zum wichtigsten Standbein der Abteilung Stadtklimatologie geworden ist. Ausdruck dessen ist die Entwicklung einer interaktiven CD-ROM mit Daten, Informationen und Berechnungsmöglichkeiten, die aus Anlaß der für das Großprojekt Stuttgart 21 durchgeführten klimatischen und lufthygienischen Untersuchungen unter dem programmatischen Titel "Stadtklima 21" von der Abteilung herausgebracht wurde.

Tempo-60-VersuchDie auf mathematisch-physikalischen Modellen aufbauenden Immissionsprognosen erlangen insbesondere im Zusammenhang mit einer verstärkten Berücksichtigung der Kfz-Abgasbelastung in der Bauleitplanung Bedeutung, was im Maßnahmenteil des für Stuttgart 1990 vom Land aufgestellten Luftreinhalteplans gefordert wird. Im Rahmen der bauleitplanerischen Maßnahmen des Luftreinhalteplans kann die Einbeziehung der Stuttgarter Praxis der Verbrennungsverbote bzw. der Satzung über die beschränkte Verwendung luftverunreinigender Brennstoffe als Erfolg dieser Tradition betrachtet werden. Bei der Aufstellung des Luftreinhalteplans lag jedoch der Schwerpunkt der fachlichen Beteiligung der Abteilung Klimatologie in den Beratungen der verkehrsbezogenen Maßnahmen, welche durch die Entwicklung der Stuttgarter Fahrgeschwindigkeitspyramide gekennzeichnet sind. Vorausgegangen war 1989 der spektakuläre Tempo-60-Versuch auf der Bundesstraße 10 im Neckartal.

Klimaatlas des NBV StuttgartAuf Veranlassung und finanziert vom ehemaligen Nachbarschaftsverband Stuttgart, dessen Aufgabe eine gemeinsame Flächennutzungsplanung der im Verband zusammengeschlossenen Gemeinden war, hat die Abteilung 1991 für das Verbandsgebiet und angrenzende Teile der Region eine umfangreiche Klimauntersuchung durchgeführt, deren Ergebnisse als Klimaatlas 1992 veröffentlicht wurden. Auch wenn nach Auflösung des Nachbarschaftsverbandes der Klimaatlas mit seinen Planungsempfehlungen seine ursprüngliche Bedeutung als gemeinsame Beratungsgrundlage zu den Planungsfaktoren Luft und Klima verloren hat, wird der Klimaatlas jedoch auch heute in Stuttgart und seinen Nachbargemeinden als wichtige Grundlagenuntersuchuchung verwendet, was insbesondere für die Mitarbeit der Abteilung beim Flächennutzungsplan-Verfahren Stuttgart  2005 gilt. Arbeitsmethoden und Ergebnisse bei der Erstellung des Klimaatlasses haben im übrigen die frühzeitige Beteiligung der Stadtklimatologen und die Berücksichtigung der stadtklimatischen Belange in allen Planungsphasen des Städtebauprojektes Stuttgart 21 ermöglicht.

Ein kleineres, jedoch nicht unbedeutendes Projekt bestand in der auf Meßgutachten basierenden Begleitung des modellhaften Sanierungsvorhabens ehemalige Zuckerfabrik in Bad Cannstatt, wo unter besonderer Berücksichtigung ökologischer Belange ein neues Gewerbegebiet entsteht - ein frühes Beispiel gelungenen Flächenrecyclings.

Den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit hat die Abteilung einerseits durch ihre Beiträge für die Veröffentlichungsreihe des Amtes, andererseits durch die Einspeisung von Daten der modernisierten Vielkomponentenmeßstation Schwabenzentrum mit zusätzlichen Informationen in Großflächenanzeigetafeln an zwei Punkten der Stadt intensiviert, nicht zuletzt auch durch die Neuheit der oben schon erwähnten CD-ROM als Medium eines Stadtklima-Informationssystems. Vorträge im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Amtes spielten eine große Rolle bei den Veranstaltungen der IGA 93. Anläßlich der internationalen Fachtagung METTOOLS II des Arbeitsausschusses Umweltmeteorologie der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft in Stuttgart-Hohenheim im Sept. 1993 hat die Abteilung für die Tagungsteilnehmer eine viel beachtete stadtklimatische Rundfahrt durch Stuttgart durchgeführt, die auch heute noch für interessierte Besucher der Stadt einschließlich einer begleitenden Broschüre angeboten wird.

Seit 1992 berichtet die Abteilung Stadtklimatologie in der Form einer jährlichen Luftbilanz über den Zustand der Stuttgarter Stadtluft. Dabei wird auch Rechenschaft abgelegt über die Einhaltung lufthygienischer Zielwerte, die nach Entwicklung und auf Vorschlag der Abteilung vom Gemeinderat im Rahmen der Festlegung von Umweltqualitätszielen 1992 verabschiedet worden waren.

Smog-Alarm Januar 1982Kein Sachverhalt kennzeichnet die Entwicklung der lufthygienischen Verhältnisse im Rückblick besser als die Erinnerung an den ersten und einzigen Stuttgarter Smog-Alarm (Vorwarnstufe) im Januar 1982. Zum Jahresanfang 1997 konnte nun die für Stuttgart geltende Smogverordnung klassischen Zuschnitts aufgehoben werden, da die erforderlichen Auslösebedingungen für entsprechenden Smogalarm bei austauscharmen Wetterlagen nach menschlichem Ermessen nicht mehr erreicht werden. Diese optimistische Betrachtung gilt nicht gleichermaßen für die Problematik des nunmehr im Vordergrund stehenden Sommer-Smogs mit Ozon-Fahrverboten auf der Grundlage des "Ozon-Gesetzes". Auch zeichnet sich ein neuer Schwerpunkt der luftchemischen Untersuchungen bei den Komponenten Dieselruß und den bisher nur wenig erkundeten flüchtigen organischen Kohlenwasserstoffen ab. Dazu wurde die meßtechnische Ausstattung der Abteilung Stadtklimatologie kürzlich durch einen mobil einsetzbaren Gaschromatographen ergänzt.

MITARBEITER (Stand 2000):

Die Abteilung StadtklimatologieProf. Dr. Jürgen Baumüller (Abteilungsleitung), Tel. +49(0) 711 216 3332

Dipl. Met. Ulrich Hoffmann (Klima in der Bauleitplanung), Tel. +49(0) 711 216 2550

Dr. Ulrich Reuter (Luftreinhaltung), Tel. +49(0) 711 216 6858

Dipl. Ing (FH) Rainer Kapp (Meßtechnik und technische Begutachtung), Tel. +49(0) 711/216 4756

Phys. Techn. Assistent Klaus Dudek (Lärmberechnung und –messung), Tel. +49(0) 711 216 7644

Phys. Techn. Assistent Erich Kohfink (Immissionsmessungen und Auswertungen), Tel. +49(0) 711/ 216 2516

Dipl. Geogr. Thomas Schene (Lärmminderungsplan Stuttgart Vaihingen), Tel. +49(0) 711 216 6703

Frau Solaki (Sekretärin), Tel. +49(0) 711 216 3332

Anschrift:
Landeshauptstadt Stuttgart, Amt für Umweltschutz, Abt. Stadtklimatologie, Gaisburgstrasse 4, D-70182 Stuttgart
Tel. +49(0) 711 216 3332, Fax:+49(0) 711/ 216 3940, email: u360400@stuttgart.de